Sieben Jahre danach: Sturmwurfflächen auf dem Lattengebirge
(11.07.2014) Der BUND Naturschutz hatte in Kooperation mit den Bayerischen Staatsforsten und der TU München im Rahmen der Bayern Tour Natur zur Exkursion eingeladen. Dabei wurden aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt. Fazit: Auf südexponierten Sturmwurfflächen sollte möglichst viel Totholz verbleiben und rasch wieder aufgeforstet werden, um Nährstoff- und Bodenverluste zu minimieren.
Forschungsarbeiten auf den Sturmwurfflächen
Von der Karscheid bot sich vor sieben Jahren nach dem Orkan Kyrill ein beklemmendes Bild: Bäume kreuz und quer, danach riesige Holzpolter links und rechts der neuen Forststraßen, nur wenige abgebrochene Stammteile, Äste und fast kein stehender Totholzbaum auf der Fläche. Dafür gab es damals schon Kritik vom Bund Naturschutz, aber wie Forstbetriebsleiter Dr. Daniel Müller mit Blick auf die Wiederbewaldungsflächen erläuterte, war damals größte Eile geboten, die Flächen zu räumen, um den Borkenkäferbefall niedrig zu halten und so die umliegenden Fichtenbestände zu schützen. Mehrere Fremdfirmen waren beauftragt worden. Obwohl die fachlich viel gelobte Bewältigung der Sturmschäden am Forstbetrieb Berchtesgaden ohne Fremdfirmen nicht möglich gewesen wäre, wurden in Einzelfällen die Arbeitsaufträge nicht immer zur Zufriedenheit des Forstbetriebes ausgeführt. Mit dem heutigen Wissensstand, der Dank der Ergebnisse aus den beiden Interreg–Projekten (SicALP und StratALP) geschaffen werden konnte, würden wir heute deutlich mehr Biomasse auf der Fläche lassen als bei der Aufarbeitung 2007, so Dr. Müller.
Ergebnisse zum Humusverlust
An mehreren Exkursionspunkten berichtete Dr. Michael Kohlpaintner von der TU München über die neuesten Erkenntnisse der Humusforschung. Der erste Punkt lag unter einer mindestens zweihundertjährigen Fichte, die den Boden gut beschattete und ein Humuspolster von 30 bis 40 cm unter sich hatte bevor man auf den Kalkfelsen gelangte. In 10 cm Tiefe wurden 10 °C gemessen. Am zweiten Exkursionspunkt fanden wir im Schatten eines Baumstumpfes unverbissene Tannen, die sich zu einer Höhe von ca. 1,20 Meter prächtig entwickelt hatten, daneben Himbeere und Heidelbeere. Wenige Meter entfernt stand eine zur gleichen Zeit gepflanzte gelblich aussehende Fichte von ca. 30 cm Wuchshöhe und und litt offensichtlich an Nährstoffmangel. Ganzbaumernte nach Kyrill und dadurch das Fehlen der Beschattung führten in den ersten Jahren nach dem Sturm zu einem Humusabbau und einer Auswaschung von Nährstoffen. Auf den besonnten vegetationsfreien Kahlflächen stiegen die Oberflächentemperaturen des schwarzen Humus bis auf 70 – 80°C an. Dass bei solchen Temperaturen kein Sämling eine Chance hatten, bedurfte keiner weiteren Erklärung. Aber auch wie die Humusauflage über dem Kalkfels verschwindet war gut erkennbar. Da sie ausschließlich aus organischer Substanz besteht, löst sie sich komplett auf, wobei der Kohlenstoff als Kohlendioxid entweicht. Das ist für den Klimaschutz natürlich genau kontraproduktiv, so BN-Kreisvorsitzende Rita Poser. 80% der Nährstoffe eines Baumes sind in Nadeln, Zweigen und Rinde gebunden. Auf Nachfrage von Hans Kornprobst, Sprecher des Arbeitskreises Wald beim BUND Naturschutz, erläuterte Dr. Müller, dass die Fichtenreinbestände des Lattenberges durch Kahlschläge für die Salinenbewirtschaftung entstanden sind. Allerdings waren damals alle Baumkronen, Äste und die meiste Rinde auf den Flächen verblieben, so dass die Humusschicht und die meisten Nährstoffe geschützt waren.
Naturverjüngung besser als Pflanzung
Interessant waren auch die Unterschiede beim Wachstumsvergleich zwischen Pflanzung und Naturverjüngung der Jahre 2008 bis 2013 am Beispiel der Vogelbeere. Die Pflanzungen schafften es im Durchschnitt von etwa 40 cm auf eine Wuchshöhe von 1,20 Metern. Die Naturverjüngung, wuchs im gleichen Zeitraum von 25 cm auf eine Wuchshöhe von 1,75 Meter. Auch aktuell hatte die Naturverjüngung noch einen besseren Zuwachs als die Pflanzung.
Wildbestände gut angepasst
Auf Grund des hohen Einsatzes der Revierjäger wuchsen etwa 90% der Tannen und noch mehr Bergahorne und Vogelbeeren die letzten 5 Jahre ohne Schäden auf. Auch in der Weißwand zeigte sich eine erfreulich dynamische Verjüngung des Bestandes aus gepflanzten und ausgesamten Bäumen die nur bei entsprechend angepassten Wildbeständen möglich ist.
Aus Gründen der Nährstoffnachhaltigkeit haben die Bayerischen Staatsforsten eine Karte erstellt, die zeigt, auf welchen Waldflächen es bei der Holzernte erforderlich ist, Kronen und Äste auf der Fläche zu belassen. Nur so lassen sich gravierende Bodenschäden mit Nährstoffverlusten vermeiden, die im Ergebnis zu Krüppelbäumen führen und keinen wirtschaftlichen Ertrag bringen. Mit den jetzt vorliegenden Erkenntnissen, werden wir künftig die Nährstoffverluste nach Stürmen vermindern und die verbleibenden Schutzwälder weiterhin vor Borkenkäfern schützen, so Dr. Müller, auch wenn die Kosten zunächst höher sein werden.
Es ist derzeit nicht abschätzbar, wie lange Zeit es dauern wird, dass auf den Kyrillflächen des Lattenbergs wieder ein normaler Bergwald wachsen kann. Mit Applaus bedankten sich die Teilnehmer bei Dr. Kohlpaintner für die sehr gut geführte Exkursion.
Lattengebirge Einzäunung
Lattengebirge: Einzäunung begonnen
Verblendung noch vor Wintereinbruch
Auch Dolinen werden wieder geräumt
Wie schon im Juni 2008 geplant wurde, werden größere Sturmwurfflächen zur Vermeidung von Wildverbiß gezäunt. Wunsch der Naturschutzverbände war, die Zäune zu verblenden, da sie ansonsten zur Todesfalle von Auerwild und anderen Tieren werden können.
Wie von den Bayerischen Staatsforsten zu erfahren war, ist der Auftrag zur Verblendung erteilt und erfolgt noch vor Wintereinbruch.
Auch soll das Ast- und Reisigmaterial mit dem zahlreiche Dolinen verfüllt wurden, wieder ausgeräumt werden. Allerdings sei dies vor dem Winter kaum noch zu realisieren.
Kahlflächen im Lattengebirge
Landschaftsschutzgebiet und Wanderparadies droht Zerstörung
Landtagsanfragen
Im Januar 2007 sind durch den Orkan Kyrill auf dem Lattengebirge ca. 60 ha Wald umgestürzt. Die Weisswand, Teil des Gebirgsstocks und an der Alpenstraße gelegen, war ebenfalls schwer betroffen. Lange Zeit war das Lattengebirge während der Forstarbeiten gesperrt, aber der Anblick der sich dann bot, war erschreckend. Wegen einer möglichen Borkenkäfergefahr wurden die Fällarbeiten der überwiegend autochthonen Fichtenbestände (200 - 300 Jahre alt) an Fremdfirmen übertragen, die im dem Landschaftsschutzgebiet teilweise tabula rasa machten. Selbst Totholzbäume wurden nicht verschont und auch auf 13d-Flächen ( geschützt nach Naturschutzgesetz) wurde wenig Rücksicht genommen. Weil alles leer geräumt wurde, sind wichtige Futterpflanzen für die Rauhfusshühner verschwunden und der dünnen Decke aus Tangelhumus (lehmige Bestandteile fehlen) droht die Auflösung.