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Was Gesteine und Gerölle verraten

Ramsau und Berchtesgaden lagen vor ca. 8 - 19 Millionen Jahren am Inn

 

Wie die Sache mit den Geröllen in der Ache ins Rollen kam:

(14.06.2013) Als Dipl.-Ing. März Ende 2010 Univ. Prof. Dr. Paul Ney besuchte, war wie immer wenn sich die beiden trafen, Berchtesgaden mit seinen Mineralen und Gesteinen das große Thema. Dabei kam auch ein Gestein, das Prof. Ney vor 10 Jahren unterhalb des Salzbergwerkes an der Gollenbachbrücke wegen seines völlig ortsfremden, „exotischen“ Charakters aufgesammelt hatte, zum Gespräch. Es handelte sich dabei um ein kristallines Gestein, einen Gneis, der sonderbare schwarze Adern im Gefüge zeigte. Die Untersuchung dieser Adern an der Universität Salzburg durch Mag. Hosner ergab, dass diese schwarzen Einschlüsse völlig amorphes Glas ohne weitere mineralische Phasen waren. Damit war für Prof. Ney klar, dass es sich nur um einen sogenannten Pseudotachylit (Abb. 1) handeln konnte. Allerdings blieb weiterhin völlig rätselhaft wie dieses Gestein in die Ache gelangen konnte.  Der Name Pseudotachylit war für Dipl. Ing. März eine völlig unbekannte Gesteinsbezeichnung und für ihn, als passioniertem Erforscher der Naturgeschichte seiner Heimat Berchtesgaden, Anlass zu weiteren Nachforschungen.

Zunächst: was ist ein Pseudotachylit?

Pseudotachylite entstehen aus kristallinen Gesteinen wie Gneisen oder Graniten, wenn diese sehr kurzen Ereignissen mit hoher Verformungsenergie, wie etwa bei Erdbeben entlang von Störungsflächen, ausgesetzt werden. Dabei kann durch die auftretende mechanische Reibungswärme das Gestein kleinräumig  auf Temperaturen bis zu 1000° C erhitzt werden. Es kommt zum Aufschmelzen des Gesteins und wegen der Kleinräumigkeit der Erhitzung zu einer sehr schnellen Abkühlung, wodurch keine Zeit für die Bildung von Mineralen bleibt, sondern nur das bereits oben erwähnte Gesteinsglas entstehen kann.

Als im Herbst 2011 Dipl. Ing. März in München beim Besuch einer Ausstellung über die Gesteine des Isartales im „Reich der Kristalle“, durch größere Exemplare von Pseudotachylit  von dort erneut auf dieses Thema gestoßen wurde, war der Damm endgültig gebrochen.  Bereits am nächsten Tag nach der  Ausstellung, konnte er bei einer Begehung der Ache von der Ramsau bis zur Landesgrenze mehrere Pseudotachylite aufsammeln, inzwischen schon ca. 60 Stück unterschiedlichster Größe. Das größte Geröll mit einem Durchmesser von 0,6 m, das auch in der Gemeinde Ramsau ausgestellt werden soll, wurde  von ihm zusammen mit Dr. Diersche erst jüngst im März 2013 gefunden.  Darüber hinaus konnten von ihm in der Ache noch weitere kristalline „Exoten“ wie vulkanische Andesite (Abb. 2), sowie unter hohem Druck und hoher Temperatur umgewandelte Gesteine, sogen. Eklogite (Abb. 3), Amphibolite (Abb. 4), Gneise und Serpentinite (Abb. 5) gefunden werden.

Es stellte sich vor allem die Frage: woher kommen die Pseudotachylite?

Gestützt auf Literaturhinweise wurden im Juli 2012  von Dr. Diersche originale Proben dieses Gesteins aus dem Unterengadin vom Fuße des Silvretta-Kristallins aufgesammelt und nach Berchtesgaden gebracht. Der erste Vergleich ergab eine verblüffende Übereinstimmung!

Die entscheidende Antwort auf diese Fragen gab dann ein Vortrag von Univ. Prof. Dr. W. Frisch aus Tübingen an der Universität Salzburg im Herbst 2012. Dieser berichtete von einem vergleichbaren Geröllspektrum mit Pseudotachyliten in den „Hausruck - Munderfinger – Kobernaußerwald  - Schottern“ (Alter: 8 – 13 Mio. Jahre) der „Oberen Süßwassermolasse“ im Alpenvorland nordwestlich von Salzburg. Er ordnete die Gerölle dieser fluviatilen Schüttung dem Ur-Inn zu, der die Pseudotachylite und ihre Begleitgesteine aus dem Westen dorthin transportiert hat. Als Begründung führte er die Übereinstimmung im Chemismus und weiteren Gesteinseigenschaften der Kristallingerölle in diesen Vorlandschottern mit den im Einzugsgebiet des Ur-Inns anstehenden Gesteinen an. So konnte er die in den Schottern auftretenden Pseudotachylite eindeutig vom Ötztal – und Silvrettagebiet herleiten.

Aber nicht nur die Ferne, auch die nähere Umgebung barg noch eine Überraschung. Durch das Auffinden der kristallinen Gerölle in der Ramsauer Ache war es naheliegend, auch die Ramsauer Nagelfluh (= „Ramsauer Mühlstein“ (Abb. 6 + 7) auf entsprechende kristalline Gerölle zu untersuchen. Und tatsächlich konnten darin von uns Pseudotachylite, Andesite und weitere kristalline Gerölle gefunden werden.

Die Ramsauer Nagelfluh an den Hängen nördlich und südlich des Ortes Ramsau:

Die Ramsauer Nagelfluh mit ihren Geröllen ist eine alte Flussablagerung. Die Herkunft der Gerölle wie auch der Verlauf und  das Alter des Flusses waren bisher umstritten. Ein Teil dieser generell nicht durch Gletscher gekritzten Gerölle besteht aus Kalken, Dolomiten, Sandsteinen und Phylliten, wie sie in den Kalkalpen und in der Grauwackenzone südlich davon häufig anzutreffen sind. Wie aber bereits BARTH (1965) in seiner Dissertation über das Hochkaltergebiet erwähnte, ist das herausragende Charakteristikum dieser Nagelfluh ein Gehalt von bis zu 72% kristalliner Gerölle (Phyllit, Glimmerschiefer, Granite, Gneise, Granatamphibolite, Tonalite, Restquarze). Er vermutete, dass diese kristallinen Gesteine in der Eiszeit aus den Hohen Tauern hierher transportiert worden wären, äußerte aber zugleich auch Zweifel an dieser Hypothese. Nach unserer Meinung ist allerdings die Herkunft dieser Gesteine aus den Tauern unwahrscheinlich und für die Pseudotachylite und Andesite sogar mit Sicherheit auszuschließen.

Der momentane Stand des Wissens

Als Liefergebiet der Pseudotachylite kommt eigentlich nur das Obere Inn-Tal (Unter-Engadin) in Frage, wo sie ausschließlich am Rand des sogen. „Unterengadiner Fensters“ im Ötztal- bzw. Silvretta-Kristallin vorkommen und dort vor ca. 15 -19 Millionen Jahren an die Oberfläche und in den Bereich der fluviatilen Abtragung gelangt sein dürften. Diese Herkunft würde heute einer Transportweite von ca. 250km Luftlinie durch den Ur-Inn entsprechen. Das Alter der frühestmöglichen Abtragung bzw. des Transportes lässt sich aus geologisch altersmäßig eingestuften Schotter-Lagen mit Pseudotachyliten im Alpenvorland ermitteln (siehe unten).

Allerdings könnte der Transportweg damals auch kürzer gewesen sein. Da seit dem Oligozän (vor ca. 25 Mio Jahren) nach der Deckenstapelung der Nord-Alpen beim weiteren Aufprall des afrikanischen Kontinents der Alpenkörper von Süden her zusammengedrückt wurde, wichen seit dem Teile davon entlang Westsüdwest-Ostnordost verlaufender Seitenverschiebungen und Querstörungen aus. Es kam über viele Mio Jahre als Ausgleichsbewegung zu einer Längung z.B. des Ostalpenkörpers bis über 50 % (FRISCH, 1997). Bei dieser sogen. „Extrusionstektonik“ entstand u.a. auch der Karpathenbogen und es erfolgte die westgerichtete Überschiebung der Westalpen.

Wir vermuten, dass auch die Eklogite und Amphibolite, die nur unter extrem hohen Temperaturen und Drücken entstehen, ebenfalls aus dem Ötztal- und Silvretta-Kristallin stammen. Weitere Untersuchungen sollen dies bestätigen.

Als weitest gereiste Exoten können die Gerölle von Andesit angesehen werden. Diese porphyrischen Andesite mit charakteristisch überkreuzten Feldspatzwillingen (Abb. 2) sind wahrscheinlich Zeugen für eine Kette von Vulkanen, die vor etwa 30 Millionen Jahren entlang dem sogen. Periadriatischen Lineament (etwa an der Grenze zu Südtirol) ausbrachen (BRÜGEL et al., 2000). An dieser tiefreichenden, Ost-West verlaufenden Störung, treffen Nord- und Süd-Alpen direkt aufeinander.  Die Vulkane sind zwar längst von der Oberfläche durch Verwitterung verschwunden, aber die zu Gestein erstarrte, ehemals glutflüssige Gesteinsschmelze, ist heute in Form von ehemaligen Vulkanschloten und als Füllung von Magmenkammern (z.B. Adamello-Kristallin) noch vorhanden. Bei Übereinstimmung von Chemismus, Mineralbestand und Alter der Andesit-Gerölle mit den dort anstehenden Gesteinen könnte man diese ehemaligen Vulkangebiete als Ursprung der Gerölle identifizieren. In diesem Fall müsste nach heutiger Topographie ein Transportweg durch den Ur-Inn von ca. 350km Luftlinie angenommen werden.

Ergebnisse und vorläufiges Modell

Aus dem Auftreten des Pseudotachylits in der Ramsauer Nagelfluh (erstmaliger Nachweis!) und zusätzlich des porphyrischen Andesits in der Ache kann abgeleitet werden, dass diese Gesteine vor etwa 17-19 Millionen Jahren durch den Ur-Inn aus der Gegend des Maloja-Passes bzw. dem Unter-Engadin nach Berchtesgaden transportiert wurden. Die Transportenergie und Strömungsgeschwindigkeit muss angesichts der Größe (Pseudotachylitblock in der Ramsauer Ache!) und dem Frischheitsgrad der Gesteine, zumindest episodisch, gewaltig gewesen sein. Ursache war wahrscheinlich die Heraushebung des Bergeller Massifs bis Ende Oligozän vor ca. 23 Mio Jahren (HANTKE, 1984 u. 1987) auf über 5000m Höhe, was mit der gleichzeitigen Hebung des Inntal-Gewölbes (späteres „Unterengadiner Fenster“), die nötige Reliefenergie erzeugte. Der Ur-Inn floss von dort in einem Westsüdwest-Ostnordost verlaufenden Alpenlängstal weiter, das durch alte Störungen vorgezeichnet war. Er bahnte sich dann von der damaligen Inntalsenke  seinen noch weitgehend unbekannten weiteren Lauf nach Osten. Vermutlich floss er südlich am Kaisergebirge vorbei ins Gebiet von Waidring (LEMCKE, 1964). Der Verlauf über das Saalachtal scheint uns weniger wahrscheinlich. Dann ging der Weg vermutlich weiter über das Hirschbichl und entlang der Deckengrenze vom Tirolikum zur Berchtesgadener Decke (= entlang dem östlichen Fuß von Reiteralm und Untersberg) in das Berchtesgadener Tal, wobei er weichere Gesteine wie das Haselgebirge und Unterkreideschiefer ausräumen konnte. Von Berchtesgaden ist der Ur-Inn dann nach unserer Erkenntnissen südlich von Salzburg in die Ur-Salzach geflossen und hat mit dieser zusammen als Ur-Salzach-Inn seine Geröllfracht nach Norden in das Molasse Meer geschüttet.

In den dort nördlich Salzburg vorkommenden Schotter-Fächern des Tertiärs treten erste Pseudotachylit-Gerölle bereits in den untermiozänen „Wachtbergschottern“ der Ottnang-Stufe (17-19 Mio. Jahre) der „Oberen Meeresmolasse“ auf, entdeckt von HERBSTL/ FRASL (1985) am Rand des Oichtentales. Die meisten Pseudotachylit-Gerölle finden sich aber offenbar in den jüngeren, mittel- bis obermiozänen „Hausruck-Munderfinger-Kobernaußenwald-Schottern“ der Stufen des Sarmat-Pannon (8 – 13 Mio. Jahre) in der Oberen „Süßwassermolasse“, wo sie seit langem bekannt sind (GRAUL/WIESENEDER 1939, FRISCH et al. 2008).

Die Pseudotachylite dort bezeugen, dass diese Schotter nicht nur eine Ablagerung der Ur-Salzach, sondern zu einem großen Teil des Ur-Inn sind, der nachweislich durch den Vorläufer des Berchtesgaden – Ramsauer Tales floss.

 

Nach dem alten paläogeographischen Modell von LEMCKE (1984) mündete der Ur-Inn in diesem Zeitabschnitt des Tertiärs noch über das Saalachtal nördlich Salzburg in die Salzach, weil ihm unsere inneralpinen Ramsauer Pseudotachylite noch nicht bekannt waren.

 

Die Ramsauer Nagelfluh hat somit kein Spät-Riß-eiszeitliches Alter von 130.000 Jahren (RISCH 1993), sondern die darin enthaltenen Gerölle sind im Miozän durch den Ur-Inn aus den Westalpen bis zu 350 km weit in das Ramsau-Berchtesgadener Tal verfrachtet worden. Aufgrund ihres einzigartig exotischen Geröllbestandes (u.a. mit Pseudotachyliten und Andesiten) ist sie – in Korrelation mit den Pseudotachylit- führenden Schottern im Alpenvorland nördlich von Salzburg – bis zu 19 Mio. Jahre alt, teilweise vielleicht „nur“ 8 – 13 Mio. Jahre. Die Ramsauer Nagelfluh stellt auf jeden Fall ein paläogeographisch sehr wichtiges, neues inneralpines Tertiärvorkommen dar.

 

Ob auch andere – wahrscheinlich nicht aus den Hohen Tauern stammende – von uns in der Ache entdeckte exotische Gerölle von z. B. Eklogiten und Serpentinit in der Ramsauer Nagelfluh vorkommen, sollen weitere Untersuchungen erbringen. Dabei ist vor allem das südliche, gut aufgeschlossene Vorkommen des Ramsauer Mühlsteins zu bearbeiten.

An der Universität Salzburg werden Univ. Prof. Dr. Franz Neubauer und Mag. Hosner Altersdatierungen, chemische und mineralogische Analysen zur Aufklärung der genauen Herkunft der Gerölle durchführen. Die erwähnten Gerölle bedingen auch eine neue Ausgangslage für die Rekonstruktion der Flusssysteme während des nordgerichteten  Alpenvorschubs. Die Ergebnisse sollen in ein neues Modell der Entstehung der Vorlandschotter einfließen, welches an der Universität Salzburg entwickelt wird.

 

Es ist uns ein besonderes Anliegen diesen kleinen Artikel dem im Dezember 2012 verstorbenen Prof. Dr. Paul Ney aus Berchtesgaden zu widmen, der als eigentlicher Initiator dieser Untersuchungen angesehen werden kann. Mit seinem Weggang aus unserer Mitte haben wir einen unersetzlichen und nimmermüden Berater und Diskussionspartner verloren.

 

Dipl. Ing. Josef März         Dr. Volker Diersche            Mag. Ferdinand Hosner

(Architekt)                            (Geologe)                            (Petrologe)