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Prof. Graßl im Interview mit dem BAZ

Prof. Dr. Hartmut Graßl

Emeritus-Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie Hamburg, Bundesstraße 53, 20146 Hamburg

floche@dkrz.de, www.mpimet.mpg.de

 

Die Klimaveränderung und ihre Auswirkungen in den Alpen

Interview mit dem Berchtesgadener Anzeiger, 25.02.2006

Der Nationalpark zieht die Gäste an und nicht ein weiterer Skilift

Wenn Prof. Dr. Hartmut Graßl vor dem globalen Klimawandel warnt, dann tut er es mit aller Konsequenz. Der gebürtige Ramsauer, der das Max-Planck-Institut für Meteorologie an der Universität Hamburg leitete und zu den bekanntesten Klimaforschern der Welt gehört, scheut sich nicht vor Konflikten. Schließlich kann der 65-Jährige seine Aussagen mit Daten aus jahrzehntelanger Forschungsarbeit begründen. Dennoch hören es viele nicht gerne, wenn der Wissenschaftler insbesondere den tiefer gelegenen Skigebieten aufgrund der Klimaerwärmung das langsame Aus prognostiziert und deshalb weitere Skiliftbauten für unsinnig erklärt.

So ist bei dem vom Bund Naturschutzam Samstag, 4. März, im Kur- und Kongresshaus Berchtesgaden veranstalteten Seminar »Skifahren unter Palmen?« eine heiße Diskussion zu erwarten. Zumal neben Prof. Dr. Graßl auch Vertreter der Tourismus- und Seilbahnbranche eingeladen sind. Im Gespräch mit dem »Berchtesgadener Anzeiger« wärmt sich Klimaforscher Graßl schon einmal auf. Der gebürtige Ramsauer Prof. Dr. Hartmut Graßl prognostiziert den Skigebieten keine gute Zukunft.

 

Herr Prof. Graßl, wie ist denn das Wetter bei Ihnen in Hamburg?

Prof. Dr. Hartmut Graßl: Bedeckt und zwei Grad plus.

 

Das Berchtesgadener Land ist in diesem Winter fast im Schnee versunken. Ist das noch normal?

Graßl: Ja, warum denn nicht. Es ist doch völlig normal, dass man im Tal einmal einen halben oder einen dreiviertel Meter Schnee hat. Die Menschen übertreiben ja gerne. Wenn Sie die Leute fragen, wie viel Schnee es früher gab, dann werden alle möglichen Märchen ausgegraben. Und wenn man sich dann eine lange Messreihe des Deutschen Wetterdienstes anschaut, dann reduziert sich das alles auf Normalmaß. Und man merkt schnell, dass die Schneedeckendauer in den Niederungen abgenommen hat. An einer höher gelegenen Station dagegen ging die Schneedeckendauer zumindest nicht signifikant zurück.

 Müssten denn die Tallagen nicht heute schon schneelos sein, wenn man den Klimaprognosen Glauben schenken soll?

Graßl: Nein, das ist völlig falsch. Eine Klimaerwärmung bringt ja nur geringe Abweichungen vom Mittelwert. Wenn es also früher mal einen Winter mit minus 32 Grad gegeben hat und inzwischen die Winter-Temperaturen im deutschen Mittelwert um 1,7 Grad höher sind, dann heißt das ja nicht, dass es heute keine Temperaturen unter minus 20 Grad mehr geben wird. Das heißt nur, dass die Wahrscheinlichkeit für so niedrige Temperaturen stark abgenommen hat. Auftreten werden sie immer noch. Auch hohe Temperaturen werden heute im Winter öfters erreicht als früher. Die Verteilung um den Mittelwert ändert sich aber nicht so drastisch. Der Bürger meint, dass zwei Grad nicht viel wären. Da kann ich nur sagen: Vier Grad waren der Unterschied zwischen Eiszeit und der jetzigen Zwischeneiszeit. Und das hat aus einer eisbedeckten Fläche in Berchtesgaden einen Ort mit viel Wald gemacht.

 Der heuer mit einer Eisdicke von 35 Zentimetern zugefrorene Königssee ist dann also Zufall?

Graßl: Das kommt immer wieder mal vor, aber es wird immer seltener. Wenn man sich anschaut, wann die Menschen drübergehen konnten, dann wird man feststellen, es wird halt weniger. Aber dass mal wieder ein Winter dabei ist, in dem man das Eis betreten kann, das ändert nichts daran, dass die Welt insgesamt wärmer geworden ist.

 Wie sollte sich denn die Tourismusbranche auf die künftigen klimatischen Bedingungen einstellen? Haben Wintersportorte wie das Berchtesgadener Land überhaupt Zukunft?

Graßl: Im unteren Teil nicht mehr. Wenn man investiert, dann will man damit ja auch in 10, 15 oder 20 Jahren noch etwas verdienen. Ich würde deshalb im Berchtes-gadener Land keinem raten, in einen Skilift zu investieren. Denn die Wahrscheinlichkeit, damit etwas zu verdienen, wird mit der globalen Erwärmung immer geringer. Im Schwarzwald habe ich für eine derartige Warnung einmal heftige Schelte bekommen. Inzwischen ist es so, dass die Lifte dort größtenteils abmontiert sind.

 Welche Ratschläge haben Sie denn für die Politiker im Berchtesgadener Land konkret?

Graßl: Man muss versuchen, diejenigen Gäste ins Berchtesgadener Land zu ziehen, die nicht unbedingt Ski fahren wollen. Derzeit läuft ja die Suche nach einem Investor für die Jennerbahn.

 Wenn es um den Wintersport künftig so schlecht bestellt sein wird, macht da eine solche Investition noch Sinn?

Graßl: Der Jenner ist im Berchtesgadener Land wohl der einzige Berg, an dem man noch ein paar Jahrzehnte Ski fahren kann. Die flacheren Hänge in Talnähe werden nämlich zunehmend schneeunsicher.

 Dann wird es im Berchtesgadener Land in 30 Jahren keinen Skilauf mehr geben?

Graßl: Doch, aber das werden dann die Skibergsteiger sein. Die kommen weiter hinauf und können die steilen Hänge befahren. Der normale Bürger, der eine Autobahn haben möchte, wird in Berchtesgaden nicht mehr ausreichend Schnee vorfinden. Im Berchtesgadener Land sind breite und flache Pisten in schneesicherer Region nicht anzulegen.

 Wie kann denn der Bürger selbst zum Schutz der Erdatmosphäre beitragen?

Graßl: Sehr vielfältig, aber im Endeffekt braucht es eine von den Vereinten Nationen getragene Regelung. Sonst sieht der Bürger ja nicht ein, warum er etwas tun soll. Der Bürger wird wohl nur dann aktiv werden, wenn es für ihn billiger wird. Wenn er durch Energieeinsparung auch selbst Euro spart, dann wird er mitmachen. Ihn jeden Tag zu fragen, ob er sich umweltgerecht verhalten hat, ist doch Unfug. Das System muss von sich aus funktionieren.

 Ist es nicht auch so, dass man oft nach Amerika schaut, das in Sachen Umweltschutz nicht gerade vorbildhaft ist?

Graßl: Aber es war einmal vorbildhaft. Das hängt eben vom Präsidenten ab. Dass die Bundesrepublik Deutschland auf dem Sektor Klimapolitik besonders gut abschneidet, liegt daran, dass wir Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre mal eine Kommission des Deutschen Bundestags hatten, die der Bevölkerung das Ganze mal sauber erklärt hat. Seitdem ist die Bundesrepublik ein Land, das zusammen mit den Engländern eine Vorreiterrolle beim internationalen Klimaschutz einnimmt. Die Klimaerwärmung ist ja immer mehr auch am Rückgang der Gletscher zu spüren.

 Sind die Gletscher, ist beispielsweise der Blaueisgletscher in Ramsau, eigentlich noch zu retten?

Graßl: Nein, da ist nichts mehr zu machen, dazu sind die Veränderungen in der Atmosphäre zu groß. Maßnahmen, über die man jetzt spricht, werden erst in drei bis vier Jahrzehnten ihre Wirkung entfalten. Bis dahin sind viele der kleinen Gletscher in den Ostalpen verschwunden.

 Vermutlich wird nach diesem schneereichen Winter der eine oder andere Gletscher wieder ein wenig zulegen.

Graßl: Nein, wir hatten ja 1999 noch mehr Schnee. Aber auch da ist nichts gewachsen, da war es höchstens plusminus null.

 Vermutlich richtet sich Ihr Blick gelegentlich immer noch ins Berchtesgadener Land. Gibt es hier Umweltsünden, die sich bei Ihnen besonders eingeprägt haben?

Graßl: Ja, die Jennerbahn ist eine ganz große Umweltsünde, weil sie illegal errichtet worden ist. Im Naturschutzgebiet Königssee hätte nie eine Bahn gebaut werden dürfen.

 Würden Sie dann die Jennerbahn im Nachhinein legitimisieren?

Graßl: Man kann ja nicht etwas, was die Bevölkerung im Wesentlichen mitgetragen hat und was seit Jahrzehnten existiert, im Nachhinein wegräumen wollen. Das wäre Unfug. Aber man muss den Anfängen wehren. So ein Eingriff würde heute im Nationalpark Berchtesgaden nicht mehr passieren.

 Haben Sie eigentlich noch regelmäßige Kontakte nach Berchtesgaden?

Graßl: Da leben ja noch meine Verwandten. Die besuche ich öfters. Mir gefällt es dort, das ist ja meine Heimat. Ich sehe eine schöne systematische Entwicklung des Nationalparks. Die Bevölkerung nimmt den Park besser an als früher, da wurde noch viel Unfug verzapft. Der Nationalpark ist das einzig große Pfand, das das Berchtesgadener Land noch hat. Der ist es, der die Gäste anzieht, und nicht ein zusätzlicher Skilift.

 Zäher läuft es ja beim Biosphärenreservat.

Graßl: Viele Berchtesgadener wissen nicht einmal, dass sie in einem solchen Biosphärenreservat wohnen. Die Menschen dort leben unter einer anderen Gesetzgebung als wenn man draußen bei Freilassing wohnt. Das hat Folgen, daraus resultieren Gewinner wie Verlierer. Und die vermeintlichen Verlierer werden ja immer auf die Barrikaden gehen, auch wenn sie später vielleicht Gewinner sind. Aber wenn sie sich als Verlierer fühlen, dann sind sie dagegen.

 Aber Sie haben durchaus Verständnis für die zum Teil skeptische Haltung?

Graßl: Sicher. Das Wichtigste ist ja, dass man mit den verschiedenen Gruppen diskutiert. Sicherlich werden aber diejenigen, die in einer demokratischen Abstimmung unterliegen, weiter stänkern. Das ist normales menschliches Verhalten. Dabei hat das Berchtesgadener Land eigentlich viel größere Probleme, wie beispielsweise die schlechte Verkehrsanbindung. Das ist mit ein Grund dafür, warum es hier so wenige hochkarätige Veranstaltungen gibt.

 Wie wird der kommende Sommer?

Graßl: In tropischen Regionen kann man das Wetter bis zu einem halben Jahr voraussagen, in Mitteleuropa geht das nicht. Jahreszeitprognosen werden aber wohl in unseren Regionen auch in einigen Jahren kommen, weil man dann mehr Beobachtungen aus dem Inneren des Ozeans hat.

 Dann kann man also nur hoffen, dass nach dem Traumwinter jetzt ein Traumsommer kommt.

Graßl: Das ist Ansichtssache. Wenn Sie eine Fichte wären, würden Sie sich über viel Wasser und wenig Hitze freuen. Was ist schon ideal? Ideal ist jedenfalls, dass wir in einer Region wohnen, in der es ganz wenige Extreme gibt, denn sonst hätten wir uns gar nicht so entwickeln können. Bei uns lässt es sich ja sehr gut leben. Deshalb sollte man auch dankbar sein, wenn es im Sommer mal so richtig schüttet.

Ulli Kastner